Der neue Überschuldungsbegriff:
Der Überschuldungsbegriff des § 19 Abs. 2 InsO wurde angesichts der Finanzkrise übergangsweise neu geregelt. Danach liegt Überschuldung vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.
Im Unterschied zur bisherigen Fassung des § 19 Abs. 2 InsO hat die Frage nach der Wahrscheinlichkeit einer Unternehmensfortführung nicht mehr allein Bedeutung für den bei der Erstellung der Überschuldungsbilanz anzuwendenden Bewertungsmaßstab für Unternehmenswerte und Verbindlichkeiten, sondern es liegt bereits keine Überschuldung vor, soweit eine positive Fortführungsprognose besteht.
Somit können durch die Neuregelung rechnerisch überschuldete Unternehmen der Insolvenzantragspflicht entgehen, sofern sie eine positive Fortführungsprognose aufstellen können.
Bewertungsansatz:
Die Überschuldungsbilanz ist nicht mit der Handelsbilanz identisch, sondern stellt eine eigenständige Sonderbilanz dar. Es sind die tatsächlichen Zeitwerte zu ermitteln, handelsrechtliche Bewertungsvorschriften spielen keine Rolle.
Die Aktiva sind nach ihren wahren, das heißt realisierbaren Verkehrswerten unter Auflösung der stillen Reserven anzusetzen und bei den Passiva sind die echten, also real bestehenden Verbindlichkeiten einzusetzen. Unbewegliches Vermögen (Immobilien) ist mit dem Verkehrswert zu berücksichtigen. Bei Finanzanlagen ist der Ertragswert entscheidend. Im Umlaufvermögen sind die Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe sowie die Halb- und Fertigprodukte unter Liquidationsgesichtspunkten mit ihrem Marktwert anzusetzen. Forderungen aus Lieferungen und Leistungen sind nach dem bilanzrechtlichen Vorsichtsprinzip zu bewerten. Bei den Passiva sind sämtliche Verbindlichkeiten, auch solche, die noch nicht fällig oder gestundet sind, einzusetzen. Rückstellungen sind dann zu passivieren, wenn mit einer Inanspruchnahme ernstlich zu rechnen ist. Gesellschafterdarlehen oder Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, sind grundsätzlich im Überschuldungsstatus als Verbindlichkeiten aufzunehmen (etwas anderes gilt nur dann, wenn für sie ein Rangrücktritt vereinbart worden ist).
Fortführungsprognose:
Ergänzend ist auch festzustellen, ob für das Schuldnerunternehmen eine positive oder negative Fortführungsprognose besteht, d. h. ob es in der Lage ist, die Überschuldungssituation zu überwinden und zumindest auf mittlere Sicht wieder eine Finanzkraft zu entwickeln, die zur Fortführung des Unternehmens ausreicht. Es ist nicht erforderlich, dass die Überlebensprognose mit absoluter Sicherheit gestellt werden kann. Für eine positive Fortführungsprognose ist aber erforderlich, dass die Überwindung der Überschuldungssituation überwiegend wahrscheinlich ist.
Ist die Fortführungsprognose negativ, folgt daraus die Insolvenzantragspflicht. Ist sie positiv, kann das Gesellschaftsvermögen neu bewertet werden. Anstelle von Liquidationswerten kann im Überschuldungsstatus dann von Fortführungswerten ausgegangen werden. Ergibt sich auch dann eine Überschuldung, bleibt es bei der Insolvenzantragspflicht. Wenn dagegen unter Zugrundelegung von Fortführungswerten (Going-Concern-Werten) festgestellt wird, dass die Verbindlichkeiten der Gesellschaft gedeckt werden, liegt keine Überschuldung vor.
Das Unternehmen kann weiter am Wirtschaftsverkehr teilnehmen, ohne einen Insolvenzantrag stellen zu müssen.